Nach der Eskalation im Nahen Osten steigt die Nervosität an den Finanzmärkten. Einige Experten erwarteten jedoch eine heftigere Reaktion.
Die israelischen Angriffe auf Iran halten die Finanzmärkte in Atem: Die Aktienkurse sind am Freitag weltweit unter Druck geraten, und die Ölpreise stiegen sprunghaft an.
Die Eskalation im Nahen Osten, einer der wichtigsten Regionen für die globale Ölversorgung, bringt zusätzliche Unsicherheit in die bereits verunsicherten Märkte. Diese stehen aufgrund der erratischen Zoll- und Handelspolitik des amerikanischen Präsidenten Donald Trump seit Monaten unter Druck, nun droht ein weiterer Krieg.
Was Anlegerinnen und Anleger nach den jüngsten Ereignissen wissen müssen – eine Übersicht.
Wie reagieren die Finanzmärkte auf den Angriff?
Die Finanzmärkte reagieren nervös, aber nicht panisch auf die jüngsten Entwicklungen. Laut Experten kommt es zu einem klassischen «Risk-off»-Verhalten: Anleger ziehen sich aus Aktien zurück und suchen Schutz in sicheren Häfen wie Gold, Staatsanleihen oder dem Schweizerfranken.
Der SMI eröffnete am Freitag 1,2 Prozent tiefer. Sämtliche Titel lagen zu Handelsbeginn im Minus. Besonders deutlich war der Rückgang bei Luxusgüterherstellern wie Richemont oder Swatch Group, aber auch Reisetitel wie die Aktien des Flughafens Zürich gerieten unter Druck. In Deutschland sank der DAX um 1,2 Prozent. Reiseunternehmen wie TUI und Lufthansa gaben nach, während der Rüstungskonzern Rheinmetall zulegen konnte.
Kursverluste dominierten auch in Asien: Der Nikkei in Tokio und der Kospi in Seoul schlossen jeweils 0,9 Prozent im Minus. In China und Singapur verloren die Indizes etwas weniger stark.
Die Zurückhaltung der Märkte überrascht einige Experten. Der Anlagestratege Jeffrey Hochegger von Raiffeisen Schweiz spricht von einer «verhaltenen» Reaktion. Er habe mit stärkeren Kursverlusten gerechnet. «Möglicherweise stumpfen die Märkte gegenüber der geopolitischen Dauerkrise ab», sagt er.
Ähnlich sieht das Fabienne Hockenjos, Anlagechefin bei der Basellandschaftlichen Kantonalbank. Sie sagt: «Die Märkte haben in den vergangenen Wochen gelernt, mit Unsicherheiten umzugehen.»
Wie sollten sich Anlegerinnen und Anleger verhalten?
Der Angriff erhöht die geopolitische Unsicherheit deutlich. Für Anleger ist Vorsicht geboten. Laut Hockenjos ist nun entscheidend, wie hart die iranischen Vergeltungsmassnahmen ausfallen und welche Rolle die USA im Konflikt einnehmen werden.
Anleger sollten aber in keinem Fall überstürzt handeln. Eine breite Risikostreuung über Sektoren, Regionen und Anlageklassen bleibe das beste Mittel gegen geopolitische Turbulenzen, sagt Mark Diethelm von der Bank Vontobel. Auch Jeffrey Hochegger rät, die jüngsten Ereignisse vorerst als «temporäre Rücksetzer» zu verstehen und an der langfristigen Anlagestrategie festzuhalten.
Dennoch dürfte die Risikobereitschaft an den Märkten auch kurzfristig sinken. Besonders betroffen könnten Sektoren wie Transport, Luxus und Tourismus sein. Gleichzeitig könnten einzelne Unternehmen profitieren. Diethelm nennt als Beispiel den Schweizer Turboladerhersteller Accelleron, der durch eine Umleitung globaler Schifffahrtsrouten gestärkt aus der Krise hervorgehen könnte.
Was bedeutet der Angriff für den Erdölmarkt?
Die Ölpreise haben nach dem Angriff deutlich angezogen. Ein Fass der Referenzsorte Brent kostete am frühen Freitagmorgen knapp 74 Dollar. Zeitweise war der Preis auf 78.50 Dollar gestiegen, was einem kurzfristigen Preissprung von mehr als 12 Prozent und dem höchsten Stand seit Januar entsprach.
Ob die jüngsten Entwicklungen nachhaltige Auswirkungen auf die Öllieferungen aus dem Nahen Osten haben werden, ist laut mehreren von der Nachrichtenagentur Reuters zitierten Händlern in Asien noch unklar. Fest steht, dass der Ölpreis ein wichtiger Treiber für die Konjunktur ist: Steigt er stark nach oben, erhöhen sich die Energiepreise und der Inflationsdruck. Diesen Bremseffekt dürften viele Volkswirtschaften spüren.
Wie entwickelt sich der Goldpreis?
Der Goldpreis ist deutlich gestiegen. Am frühen Freitagmorgen kostete eine Unze knapp 3444 Dollar – ein Plus von rund 2 Prozent und nur noch wenige Dollar unter dem Rekordhoch von 3500 Dollar, das im April erreicht worden war.
Gold gilt als klassischer sicherer Hafen und ist in Zeiten geopolitischer Spannungen besonders gefragt. Das zeigte sich diese Woche exemplarisch: Bereits am Donnerstag hatte die Anspannung zugenommen, unter anderem weil die USA ihr Botschaftspersonal aus dem Irak abgezogen hatten. Das liess die Nachfrage nach Gold bereits steigen.
Als möglicher digitaler Goldersatz wird oft der Bitcoin genannt. Doch das Vertrauen der Anleger scheint begrenzt. Über Nacht fiel der Kurs von über 108 000 auf zeitweise 103 500 Dollar.
Wie steht es um den Schweizerfranken?
Der Franken behauptet sich erneut als sicherer Hafen. Am Freitagmorgen kostete der Euro 0.9343 Franken. Der Dollar wurde zu 0.8114 Franken gehandelt und damit etwa zum gleichen Kurs wie am Donnerstagabend. In der Nacht war die amerikanische Währung zeitweise auf den tiefsten Stand seit 2011 gefallen, danach konnte sie gegenüber wichtigen Währungen jedoch wieder zulegen.
Mit der jüngsten Frankenstärke wächst der Druck auf die Schweizerische Nationalbank (SNB), gegenzusteuern. Jeffrey Hochegger sagt: «Die SNB hat nicht mehr viel Pulver, das sie verschiessen kann.» Als ersten Schritt erwarte die Raiffeisen Schweiz deshalb eine Zinssenkung auf null. Man gehe nicht von einem Rückgang direkt in den negativen Bereich aus, sagt Hochegger. Mit dem Angriff auf Iran sei aber auch dieses Szenario wahrscheinlicher geworden.
Auch Fabienne Hockenjos von der Basellandschaftlichen Kantonalbank geht in ihrem Basisszenario von einem Zwischenschritt auf null aus. «Mittlerweile bin ich mir aber sicher, dass die SNB im Verlauf des Jahres Negativzinsen einführen wird.»